„Führungskräfte und Mitarbeiter/innen wachsen an ihren Visionen. Denn wer eine Vision, also ein attraktives Bild für die Zukunft hat, der hat einen Grund sich anzustrengen. Visionen geben Orientierung und lenken die Energien der Beteiligten in eine gemeinsame Richtung. Denn was man fokussiert, nimmt bekanntlich zu“. So wurde einmal einleitend ein Seminar für Führungskräfte, Projektleiter und Managementberater beschrieben. Unser “Kini“ Ludwig II. zum Beispiel – er hatte seine Visionen von mittelalterlicher Burgen in steinerne Realität umgesetzt und damit nicht nur markant das örtliche Landschaftsbild verändert. Wie wurde die Vision Stausee Realität?
Schon Ende des 19.Jahrhunderts gab es konkrete Überlegungen, die jährlich ungenutzten Wassermassen des Lechs für die Energiegewinnung zu speichern. So erwarb die Firma Siemens bereits im Jahr 1898 diverse interessante Grundstücke nahe Roßhaupten für den Bau eines Wasserwerks nahe der Mangmühle. Aber dazu kam es nicht. Man rechnete jährlich mit ca. 2,1 Milliarden Kubikmeter Wasserdurchfluss. Um diese sinnvoll zu nutzen, wurde ab 1906 bis zum Jahr 1910 von diversen Institutionen Pläne erarbeitet – mit dem gemeinsamen Ergebnis:
Eine Staumauer von 34 Metern Höhe und einer Länge von 140 Metern (!) an der Lechenge vor Roßhaupten und einem damit verbundenen künstlichen See von ungeheurem Ausmaß. Aber erst durch die akute Stromnot nach dem 2.Weltkrieg in Deutschland kam das “Projekt Lechspeicher“ im Januar 1948 wieder in Gang. Nun hatte man für die Realisierung jener Vision allerdings auch sehr konkrete Bedürfnisse.
Am 31.Oktober 1950 stellte die bereits 1940 gegründete Bayrische Wasserkraftwerk AG (BAWAG) im Landratsamt Füssen ihren Antrag auf vorläufige Baugenehmigung. Erst Tags zuvor hatte der Bayrische Landtag den Bau des Lechspeichers Roßhaupten und 5 Millionen DM Zuschuss abgesegnet. Der Bauträger verlor keine Zeit mehr:
Schon am 02.November 1950 vernahmen Anwohner die ersten Sprengungen nahe dem geplanten Sperrendamms. Bau des Damms
700.000 m³ Steine, Kies und Lehm wurden verbaut. Minütlich rollten die Spezialkipper der Firma Alfred Kunz, München an.
Unten:
Dampfbetriebener Schienenbagger im Steinbruch Deutenhausen und Kiesschüttungen im Minutentakt
Nach einer Bauzeit von 4 Jahren und einer Investition von 84 Millionen DM !! (anstatt geplanter 60) war es im Sommer 54 soweit:
Mit dem erstmaligen Fluten des Stausees Forggensee 1954 verschwanden die Ortschaften Deutenhausen und Forggen endgültig aus dem Landschaftsbild.
Bei der am 13.09.1950 veröffentlichten Volkszählung kam der Ort Deutenhausen im Amtlichen Ortsverzeichnis noch auf 48 Einwohner mit 7 Wohngebäuden. Beim Weiler Forggen wurden damals 30 Einwohner unter 5 Hausnummern erfasst (Quelle: Bayrische Staatsbibliothek, München).
Das Dorf Forggen besaß stattliche Höfe und, nebenbei bemerkt als Besonderheit, auch einmal eine Wetzsteinmühle, für die das Material u. a. am Tegelberg unterhalb der heutigen Drehhütte abgebaut wurde. Sie wurde allerdings bereits 1938 abgebrochen. Das, was von der so genannten Forggenmühle aus dem Jahr 1644 beim Abbruch Anfang der 50er Jahre übrig blieb, kann wie die restlichen Grundmauern der umliegenden Höfe heute noch jedes Frühjahr besichtigt werden, wenn das Wasser soweit abgelassen wurde (siehe Bilder im letzten Beitrag).
Beide Ortschaften befanden sich nördlich von Brunnen. In Deutenhausen, etwa auf Luftlinie von Dietringen gelegen, hatte der größte Hof „Zum Marteler“ sogar seine eigene Kapelle die von den Brüdern Filser bereits 1726 erbaut worden war. Dazwischen lagen großflächig die Forggenwiesen. Weiter im südlichen Teil: Die wildromantischen Lechauen. Da wo der Lech oft mäanderte, prägten die Lechauen entlang des Lechs das Bild. Hier tummelte sich das Wild und die Dorfjugend hatte hier nicht nur seinen Abenteuerspielplatz sondern auch den ersten Bolzplatz.
Wer sich einmal einen alten Lageplan ansehen möchte, kann dies gerne u. a. auf einer der schönen topographischen historischen Karten machen. In der Bayrischen Landesbibliothek werden allein für Schwangau 172 Karten geführt!
Meine Empfehlung:
Klicken Sie hier auf die oberste Karte aus dem Jahr 1853 (Blatt 89, Kempten Königreich Baiern)
Bilder aus alten Tagen im Vergleich zu Heute:
Links das ehemalige Armenhaus in Waltenhofen(heute der Segelclub Schwangau). Man sieht die Kiesaufschüttungen am Ufer
Rechte Seite: Der neue Uferweg von Waltenhofen nach Horn im Jahr 1953 und zum Vergleich 2014. Auf dem alten Bild schön erkennbar ist die frühere Lechauen – Landschaft
Auch sechs Anwesen im Ort Brunnen wurden ein Opfer des Sees. Darunter gehörte die ehemalige Pfeiffer´sche Ziegelei mit der Haus Nr.69 der Fam. Kink. Aus dieser stammten die Ziegelsteine für den Bau des Schloss Neuschwanstein. Handgebrannte Ziegel übrigens (jeder Stein ein Unikat), die wir dank einer schönen Fügung auch für unsere kleine Rezeption benutzen konnten und an denen wir uns täglich erfreuen.
Die Deutenhausener Brücke über den Lech und der Steinbruch wurden bereits 1856 wohlwollend in der Chronik von Ignaz Albrecht, Benefiziat von St.Georg und St.Coloman (von 1835-1872) erwähnt. Beim Stegwirt (Wohnhaus erbaut 1874) an jener Brücke, konnte man nicht nur sein Bier bekommen. Der Gastwirt Magnus Hiemer, der das Haus 1918 kaufte, war auch gelernter Käser und die dortige Käserei verarbeitete bis zur Kaufübernahme des Hauses durch die BAWAG 1949 bis zu 500l. Milch täglich.
Große Einweihung der neuen Stegbrücke beim Stegwirt (Haus)
Fotobeschreibung: 1. Stegbrücke; 2. Freiliegende Wurzel in der ehemaligen Ilias-Bergschlucht; 3. Eingang der Schlucht mit der Brücke im Hintergrund; 4. Die romantische Schlucht vor der Seestauung; 5. Heute Haltestelle Roßhaupten für die Forggenseeschifferei (jawohl 🙂 🙂 wohlgemerkt bei Normalwasser!!!) Vergrößern Sie doch mal das Bild mit einem Klick!! Da legen die Schiffe an!!
Unten: 1. Ehemalige Pfeiler der Stegbrücke am 31.03.14; 2. Dieselben eine Woche später; 3. Ehemalige Zufahrt zum Stegwirt von Deutenhausen; 4. Bizarre Felsen im ehemaligen Steinbruch; 5. Vergleichbar mit antiken Ausgrabungen in Selinunt auf Sizilien
Mit den Wohngebäuden in Füssen-Weidach fielen dem Stausee zusammen somit über 50 bewohnte Häuser zum Opfer. Etliche Menschen verloren neben Haus und Hof auch ihre vertraute Umgebung, wie der ehemalige Schwangauer Verkehrsamtsleiter Georg Grieser im Jahr 2004 im Büchlein Der Forggensee – Bilder aus einer versunkenen Welt“ in seinem Artikel “Erinnerung an eine verlorene Heimat“ detailliert darin aufführt. Wenigstens konnten die zwei wichtigsten Verhandlungspartner der betroffenen Bürger, der damalige Schwangauer Bürgermeister Georg Pfeiffer sowie der Vorsitzende des gegründeten Schutzverbandes, Karl Singer beim Abschluss des “Schwangauer Vertrags“ am 14.August 1952 eine zufrieden stellende finanzielle Entschädigungsregelung durch die BAWAG für alle Beteiligten erzielen. Das man die Leitenden Herren des Unternehmens bei der Gelegenheit auch auf erhebliche 6-stellige Zuschüsse u. a. für den Bau einer neuen Kläranlage, Verbesserung der Wasserversorgung und dem Bau eines neuen Schulhauses für Schwangau festnagelte, möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen.
Mit den historischen Aufnahmen vor unserem geistigen Auge, führte uns unsere im Teil 3 beschriebene Fahrradtour (durch den Forggensee zu jenen versunkenen Plätzen. Beim nicht mehr existenten Stegwirt hätten wir sicher unsere Radler getrunken und uns die wildromantische Iliasbergschlucht aus der Nähe angesehen (siehe oben). Dank des besonderen Wassertiefstands konnten wir wenigstens wie einst ihre ehemaligen Benutzer die alte Tiefenthalbrücke überqueren.
Beim Kaffee Maria lenkten wir unsere Räder dann auf die freigelegte, alte Füssener Straße und kamen auf ihr erstaunlich flott in die Stadt Füssen retour.
Ich denke, dass wir jedes Jahr, wenn Anfang Juni der See wieder voll gelaufen ist, beim Blick auf den See an diese besondere Radtour denken werden. Bei dem Studium über die Geschichte des Forggensees haben wir eine Menge für uns interessanter Fakten in Erfahrung bringen können, deren Bedeutung uns als langjährige Urlaubsgäste und Nutzer des Sees nicht geläufig waren. Vieles musste ich hier trotzdem unerwähnt lassen. Eine Menge schöner Bilder blieben auf der Strecke. Es hätte hier den Rahmen meiner Blogseite gesprengt. Aber wer weiß, vielleicht kommt es ja doch einmal zu einem Bildband oder so etwas…. mit Titel Seegrund – nein, das geht ja nicht. Den hat schon der Kluftinger bearbeitet (Anm.: Lokalkrimi von Volker Klüpfel und Michael Kobr 2006 bei Piper erschienen.)
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und die Zeit, die Sie sich genommen haben, um über unseren Forggensee mehr zu erfahren. Sollten Sie ihn noch nicht kennen, war es vielleicht ja einmal eine Anregung hierher zu kommen. Unser nettes Wild-Schütz Gästehaus ist zu jeder Jahreszeit der ideale Ausgangspunkt für Touren rund oder zum See.
Über Ihre Meinung und Beiträge zu diesem Artikel würde ich mich freuen. Gerne können Sie sich hier äußern oder mir eine Mail senden. Mit Grüßen aus dem Allgäu.
Ihr Roland Schütz
Literaturhinweise:
Bayrische Staatsbibliothek (Historisches Kartenmaterial,)
Bayrische Landesbibliothek (Einwohnermeldeerfassung)
D´Schwanstoaner Schwangau e.V. (Artikel Forggensee – Versunkene Heimat)
Georg Grieser, Peter Nasemann, Magnus Peresson Der Forggensee- Bilder aus einer versunkenen Welt (herausgegeben anlässlich des 50.Jubiläums des Sees 2004)
Wilhelm Liebhart Schwangau – Dorf der Königsschlösser
Fotomaterial:
Historische Fotoalben der Familie Pfeiffer, Schwangau sowie Aufnahmen von Dagmar und Roland Schütz
0
Schreibe einen Kommentar